Food Crash
Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr Felix zu Löwenstein
Der 1. November 2011 wird als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem sieben Milliarden Menschen die Welt bevölkern. Im Jahr 2050 werden 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben, sie alle wollen essen, und in den einstigen Schwellen- und Entwicklungsländern werden die Menschen doppelt soviel Fleisch auf dem Teller verlangen wie heute.
Provokante These
Der Lebensstil in den Industrienationen, den die Menschen in den armen Ländern der südlichen Halbkugel gern nachahmen würden, führt unweigerlich zu einem "Food Crash" – sagt Felix zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler, international angesehener Fachmann für Ökolandbau, selbst Biobauer und Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der provokante Buchtitel gibt auch gleich die Lösung vor: Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr.
Getreide für Menschen statt für Tiere
Löwenstein belegt mit einer Fülle von wissenschaftlichen Fakten, Forschungsergebnissen und eigenen Erfahrungen, dass die industrielle Landwirtschaft keine Zukunft haben kann. Denn sie pervertiert Sinn und Zweck des Anbaus von Lebensmitteln: "Würden alle Menschen, mit denen wir derzeit auf dem Globus zusammenleben, so leben und essen wollen, wie die US-Amerikaner, dann bräuchte man in etwa das Doppelte der derzeitigen Weltgetreideproduktion für nichts anderes als dafür, die dazu erforderlichen Tiere zu füttern." Tiere sind schon heute unsere Nahrungskonkurrenten, vom Getreide, das die Massentierhaltung verschlingt, könnten die Hungernden der Welt ernährt werden. Wir müssen also weniger Fleisch essen, und zwar schnell. Das hat 2009 sogar Bundeslandwirtschaftministerin Ilse Aigner zugegeben, allerdings nur zaghaft, denn die Bauernlobby in diesem Land ist mächtig.
Zerstörung statt Schutz
Was die Tiere an Mais nicht futtern, das kommt in den Tank und immer noch nicht auf den Teller. Ein Skandal, wie Löwenstein belegt, denn die Produktion von Ethanol bringt keinerlei Entlastung für die Klimaerwärmung, weil während des Produktionsprozesses bereits zwei Drittel der zu erzeugenden Energie verbraucht werden. Löwensteins Buch ist gespickt mit solchen Beispielen, die zeigen, dass wir "mit unserer industriellen Landwirtschaft mehr Boden zerstören als alle Generationen vor uns".
Teufelskreis industrieller Produktion
Riesige, ungeschützte Ackerflächen begünstigen Bodenerosion, der Wind hat freien Zugriff auf die Ackerkrume; Soja, als Kraftfutter für den Export nach Europa in Brasilien angebaut, führt dort zur Abholzung von immer mehr Regenwäldern; Kunstdünger und Pestizide werden gebraucht, um den ausgelaugten Böden, die kaum noch natürlichen Humus haben, Rekordernten zu entlocken. "Landwirt ist, wer nur so viele Tiere hält, als er von seinen eigenen Flächen ernähren kann, und dessen Tiere nicht mehr Fläche beanspruchen, als er hat." Massentierhaltung hat mit Landwirtschaft also nichts mehr zu tun, es ist nicht nur die qualvolle Produktion einer Ware, sondern auch eine Bedrohung: "Immerhin wird nach Angaben der WHO weltweit die Hälfte aller Antibiotika an Tiere verfüttert." Das hat Folgen für den Menschen, der dieses Fleisch isst und resistent gegen für ihn lebenswichtige Medikamente werden kann. Ein Teufelskreis, dem wir uns aussetzen, wenn wir als Verbraucher – insbesondere in den Industrienationen - den Fleischkonsum nicht deutlich einschränken.
Erfahrungen nutzen
Löwenstein präsentiert eine erschreckende Bilanz. Dabei sind die Fakten bekannt, nur werden sie weitgehend ignoriert. Die Vorteile des ökologischen Landbaus dagegen liegen auf der Hand: Er bewahrt natürliche Kreisläufe, erhält Bodenfruchtbarkeit, Biodiversiät und Artenvielfalt, geht sorgsam mit Ressourcen um, schont das Klima und ermöglicht Tieren ein artgerechtes Dasein. Löwenstein plädiert für die Nutzung jahrhundertealter Erfahrungen in den Entwicklungsländern und beschreibt ermutigende Projekte, die zum Beispiel auf den Philippinen mehr als einer Million Bauern wieder eine Existenz sichern. Er sagt aber auch, dass in den Entwicklungsländern endlich ordentliche Lager- und Transportbedingungen geschaffen werden müssen, damit Lebensmittel dort nicht verrotten. Sonst hilft der beste Ökolandbau nicht weiter.
Wir haben nur eine Erde
Ein überzeugendes, aufrüttelndes und glänzend geschriebenes Buch, das es auch dem Laien leicht macht, komplizierte Zusammenhänge zu verstehen. Die Frage, ob Bio nur was für Reiche sei, stellt sich nach diesem Buch gar nicht mehr. Es geht darum, den Lebensstil vor allem in den Industrienationen zu verändern, denn: "Wollten alle so viel Fleisch essen wie wir, bräuchte man dafür eine zweite Erde."
FOOD CRASH – Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr Felix zu Löwenstein Pattloch Verlag, September 2011, 320 Seiten, 19.99 Euro
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