"Die Ernährungsdiktatur"
Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt Tanja Busse
Schon der Begriff von der Agro- bzw. Nahrungsmittelindustrie hat nichts mehr mit dem zu tun, was sie angeblich erzeugt. Die Industrie, so Tanja Busse, tischt uns Kunstprodukte auf, deren ursprüngliche Herkunft bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde. Wirkliche Lebens-Mittel sehen anders aus und schmecken anders.
Kunstprodukte auf dem Teller
Sie sind nicht pulverisiert, klein gehäckselt, gefriergetrocknet, mit Aromen und Zusatzstoffen aufgepeppt, kommen nicht aus dem Labor oder dem Massentierstall und nicht von Feldern, wo Monokulturen den Boden auslaugen, sodass er kaum noch eigene Nährstoffe weiter gibt.
Die Macht der Konzerne
Unsere Ernährung liegt in den Händen weniger multinationaler Konzerne. "Die acht größten Handelsgruppen machen mehr als 95,3 % des gesamten Lebensmittelumsatzes in Deutschland". Das Ergebnis dieser industriellen Nahrungsmittelproduktion ist katastrophal: Kinder verlieren den Geschmack für originale Produkte, wir gewöhnen sie und uns an Chemikalien, Süßstoffe und künstliche Aromen, gefährden Klima und Umwelt und verlieren jedes Gefühl für landwirtschaftliche Werte, für die Vielfalt auf Weiden und Äckern, für einstige Kulturlandschaften.
Von wegen Vielfalt
Was wir als Vielfalt im Supermarkt erleben, besteht weitgehend aus "Weizen, Mais, Reis und Soja. Das sind crash crops, ertragreiche Pflanzen, die weltweit als herkunftslose Massenware gehandelt werden. Sie sind Rohstoffe, die die Nahrungsmittelindustrie nach ihren Methoden veredelt: mit Aromen und Färbemitteln, Zusatz- und Konservierungsstoffen zu Markenprodukten aufgemotzt. So funktioniert das Prinzip Schokoriegel: billige Zutaten, teuer vermarktet. Damit machen die Wirtschaftsbosse ihre Gewinne. Und wir unser Übergewicht."
Globaler Mittagstisch
Das ist die eine Seite des weltweiten Ernährungsproblems. Die andere ist eine Einladung zum Essen: "Am globalen Mittagstisch mit Gästen aus aller Welt und erlesenen Speisen ... Was wäre das für ein groteskes Bild, wenn alle Menschen der Welt ... Platz nähmen: fast zwei Milliarden Übergewichtige, eine Milliarde Hungernde und all die anderen, die Gourmets und Junk-Food-Esser, die Fehlernährten und die Verunsicherten."
Mensch futtert Erde auf
"In unseren Lebensmitteln stecken – verarbeitet – die Ölvorräte der arabischen und nigerianischen Erde, die abgeholzten Riesenbäume des indonesischen und brasilianischen Regenwaldes, das Kohlendioxid von Tausenden und Abertausenden Transportkilometern, das Gift aus 43420 Tonnen Pestiziden allein auf deutschen Feldern, das Leid von eingepferchten Turbomasttieren und ausgemolkenen Hochleistungskühen." Wir leben auf Kosten anderer, denn diese Art der Nahrungsmittelproduktion zerstört Existenzen in armen Ländern.
Mit offenen Augen im Supermarkt
Spätestens jetzt ist einem der Appetit gründlich vergangen und jeder Gang in den Supermarkt dauert nach weiteren Seiten doppelt so lang wie früher. Weil man plötzlich Etiketten und Aufkleber studiert, das Kleingedruckte liest, jedes (Fertig)Produkt unter die Lupe nimmt, Obst und Gemüse auf ihre Herkunft prüft und die unterschiedlichen Biosiegel vergleicht.
Schier unglaublich
Was Tanja Busse an Fakten und Hintergründen recherchiert hat, ist schier unglaublich. Sie erzählt von künstlich aufgeblähten Brötchen und falscher Roter Grütze, von Hühnerteilen, die nach Afrika gekarrt werden und dort den Geflügelmarkt kaputt machen, weil in Deutschland Hühnerbrust bevorzugt wird. Sie berichtet über den Weltagrarbericht, der hierzulande nicht zur Kenntnis genommen wird, und von den politischen Machenschaften der Nahrungsmittel-Lobbyisten, denen die Politik nicht das Handwerk legt, von Agrardumping und Exportsubventionen, die in den armen Ländern die Landwirtschaft zugrunde richten. Und sie enthüllt die Folgen von Intensivmast Massentierhaltung, damit wir täglich unser Fleisch auf dem Teller haben, von Gentechnik in Lebensmitteln, die eigentlich gentechnikfrei sein müssten. Sie entlarvt die Unentschlossenheit der Politik, die Macht der Konzerne und der Ohmacht der Millionen Hungernden in der Welt.
Lösungswege
Aber Tanja Busse schockiert nicht nur, sie zeigt auch Lösungswege auf, die direkt bei uns, beim Verbraucher beginnen: mit einer anderen Haltung zu Lebens-Mitteln, mit dem Weg zum Bio-Bauern und mit Ernährungstipps, die Umwelt und Klima schonen. Außerdem könnte auch die eine oder andere Frage dirket an den Hersteller sehr nützlich sein, wie sie unter Beweis stellt: was ist eigentlich drin in ... Während die "Ernährungsdiktatoren ihr Zukunftsmenü servieren, kehren wir zurück in die Gärten" und lernen wieder, wie Obst und Gemüse wirklich schmecken. Ein Buch, das die Augen öffnet und klar macht, wie wir unsere Erde zugrunde richten, wenn wir unser Konsumverhalten nicht ändern.
"Die Ernährungsdiktatur" - Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt von Tanja Busse Karl Blessing Verlag 2010, 336 Seiten, 19,95 Euro
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