Über Lebenskunst
Utopien nach der Krise Herausgegeben von Katharina Narbutovic und Susanne Stemmler
Nachhaltigkeit ist ein Thema, das längst alle Grenzen sprengt, weil unser Lebensstil nationale, internationale und globale Auswirkungen hat. Der Klimawandel ist in vollem Gange, die Ressourcen der Welt schwinden, die USA und der reiche Norden Europas sind für die enormen Treibhausgasemissionen verantwortlich, die dem Planeten buchstäblich den Atem rauben.
Kunst und Überleben
Lebenskunst wird in den nächsten Jahrzehnten also Über-Lebenskunst. Ihr war im Sommer in Berlin im energetisch sanierten Haus der Kulturen der Welt ein ganzes Festival gewidmet. Dabei ging es sowohl um die künstlerische Betrachtung des Themas, als auch um unseren Alltag, der sich verändern muss. Die bunte Mischung reichte vom Flaschenpfand über Konsumverzicht, ökologische Landwirtschaft, Bienenvölker über Berlin, Trinkwasser aus der Spree, Energiegewinnung durch eine Fahrrad"disko" bis zu einer regionalen Vorratskammer und Salat aus Holland, der im Wasser wächst.
Utopien für eine bessere Zukunft
Die Anthologie "Über Lebenskunst – Utopien nach der Krise" liefert einen intellektuellen, philosophischen und literarischen Background zum Thema. Die Zukunft unserer Zivilisation steht auf dem Spiel – welche Perspektiven hat der Mensch, um zu überleben? Autoren und Philosophen aus 19 Ländern versuchten Antworten zu finden.
Zeichen der Krise
Die Beiträge aus Russland und Afrika, Indonesien und Haiti, Frankreich, der Türkei und Australien, China und Amerika zeigen sehr unterschiedliche Perspektiven und Betroffenheiten. Sie befassen sich mit den ökonomischen und ökologischen Auswirkungen wachsender Naturzerstörung, mit den sozialen Folgen von Tsunamis und anderen Naturkatastrophen, mit Korruption und sozialer Verantwortung, mit Artensterben und Naturschutz, mit Wassermangel, Überflutungen, Ölpreis und Nahrungsmittelkrisen.
Hoffnung und Perspektive
Die Prognosen sind manchmal düster: "Es wird weder Sieger noch Besiegte geben - die ganze Welt wird ins Verderben stürzen. Keine Arche mehr, kein Noah … " Schreibt der französische Philosoph Michael Serres und sieht doch Chancen des Überlebens: In anderen Techniken, einer anderen Wirtschaftsweise und einer anderen Politik, die in einen "Naturvertrag" münden könnte.
Der russische Autor Michail Schischkin weiß, dass Menschen keinen Sinn für Ökologie haben, wenn sie ums nackte Überleben kämpfen müssen, "ökologische Probleme werden in Russland von existentielleren Sorgen verdrängt." Er beklagt die Unfähigkeit zu aktiver Opposition: "In meinem Land sterben nicht nur Tier- und Pflanzenarten aus, sondern die menschliche Art selbst."
Auf eine gemeinsame Nord-Süd-Ethik hofft der Schriftsteller Louis Philippe Dalembert aus Haiti, der die technologische Dominanz des Nordens kritisiert und einen Lebensstil in den Industrienationen, von dem die Länder des Südens nur träumen können. Und der chinesische Dichter Liao Yiwu, dessen Werke in der Volksrepublik verboten sind, findet in der Weisheit des Laozi Perspektiven für die Zukunft.
Grenzen des Wachstum
Die Beiträge liefern nationale Erklärungen und historische Analysen, sie bewerten kulturelle Traditionen und die Suche nach einer neuen Gemeinsamkeit des Zusammenlebens, die in ein kosmopolitisches Weltbewusstsein münden muss. Denn die Grenzen des Wachstums sind längst erreicht. (Christiane Schwalbe)
Über Lebenskunst - Utopien nach der Krise Herausgegeben von Katharina Narbutovic und Susanne Stemmler Suhrkamp TB, 389 Seiten, 12.30 Euro
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