"Wohlstand ohne Wachstum" Tim Jackson
Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt
Es ist noch gar nicht lange her, da wurde in Deutschland von der schwarz-gelben Koalition das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" im Bundestag verabschiedet. Das war im Dezember 2009. Und jetzt propagiert der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson einen Wohlstand, der ohne Wachstum möglich sein soll? Ticken die Uhren in England anders?
Unendliches Wachstum
Ja, denn bereits seit 2003 erarbeitet eine Kommission für nachhaltiges Wachstum (Sustainable Development Commission - SDC) für die englische Regierung Berichte zum Thema: Wie könnte eine nachhaltige ökonomische Zukunft aussehen, um zu einer gesunden und gerechten Gesellschaft zu gelangen, die die ökologischen Grenzen dieses Planeten respektiert. "Wachstum in Frage zu stellen, gilt als Akt von Wahnsinnigen, Idealisten und Revolutionären" und ist den Politikern ein Gräuel. Aber auf einem endlichen Planeten ist ein unendlliches Wachstum, erst recht mit einer wachsenden Bevölkerung, unrealistisch und unvorstellbar. 2100 müsste sonst das weltweite Wirtschaftsvolumen 200mal so groß sein wie 1950.
Ökologische Grenzen
Wie muss man denken und handeln, um ein lebenswertes Dasein auch für die nächsten Generationen zu ermöglichen? Nur den Verbrauch fossiler Energie zu reduzieren, hilft allein genausowenig wie die technisch effizientere Nutzung der Energie in den letzten Jahren etwas gebracht hat: Seit 1990 (Basisjahr des Kyoto-Protokolls) sind die CO2-Emissionen um 40% gestiegen und steigen weiter um 3% pro Jahr. Bei Betrachtung der ökologischen Grenzen unseres Planeten kann es nicht nur um die fossilen Brennstoffe gehen; auch andere Ressourcen müssen schonender behandelt werden: Wasser, Böden, Wälder und die Biosphäre mit ihrer Artenvielfalt.
Ökologische Gesellschaft
Niemand hört es gern, aber ohne Verzicht auf Konsumwachstum wird es nicht gehen. Wachstum, fordert Jackson, muss neu definiert und anders gemessen werden. Er kritisiert Wachstum als "Fetisch der makroökonomischen Arbeitsproduktivität", als "ein Rezept zur Aushöhlung von Arbeit, Gemeinschaft und Umwelt". Nicht immer ist es sinnvoll, Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Hier ist zumindest teilweise ein Umdenken gefordert. Dazu gehört u.a. eine aktive Sozial- und Arbeitszeitpolitik, um hohe Arbeitslosigkeit zu verhindern: Es geht darum, Arbeitszeiten zu verringern, um Arbeit gerecht zu verteilen und dem Einzelnen und der Gemeinschaft mehr Freizeit und Lebensqualität zu ermöglichen. "Die neue Makroökonomie ... muss Schluß machen mit dem Unsinn, Wirtschaft von Gesellschaft und Umwelt trennen zu wollen."
Koordinierte Marktwirtschaft
Wohlstand ist mehr als materieller Reichtum, Wohlstand hat neben einer materialistischen auch soziale und psychologische Seiten, es geht um Glück, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Familie, Identität und Gemeinschaft. Reiner Statuswettbewerb ist unproduktiv, erhöht den Materialverbrauch und führt zu seelischen Problemen. Politiker und Regierungen greifen mit finanziellen Anreizen, Regulierungen und Gesetzen in die gesellschaftlichen Zusammenhänge und privaten Sphären ein. Also haben sie auch das Recht (und die Pflicht), in die bislang grenzenlose Freiheit des materiellen Individualismus (Konsumismus) einzugreifen, um individuelle Freiheiten gegen das Allgemeinwohl abzuwägen – weil wir uns "von Natur aus nicht nachhaltig verhalten". Ohne eine starke Führung kann es also, so Jackson, keinen Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft geben.
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
Nachdem der englische SDC-Bericht "Prosperity Without Growth?" Anfang 2009 veröffentlicht worden war, gab es ein Jahr später auch in Deutschland Korrekturen. Der deutsche Bundestag hat Ende 2010 ebenfalls eine Enquete-Kommission für "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" eingesetzt. Die Kommission bereitet einen Bericht vor, der Politikern die Grundlage für die eine oder andere unpopuläre Entscheidung liefern soll. Wer sich jetzt schon auf die Ergebnisse der deutschen Kommission vorbereiten möchte, sollte Tim Jackson lesen. Dann ist er bereits heute gut darüber informiert, worüber in Deutschland noch beraten wird.
"Wohlstand ohne Wachstum" - Tim Jackson oekom Verlag 2011, 242 Seiten, 19,95 Euro Originalausgabe: "Prosperity without Growth", 2009
|