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Ilija Trojanow

"Eistau"

"Eistau" ist wörtlich zu nehmen – das Eis taut, auf Gletschern und in polaren Zonen. Aber auch das Eis des geliebten Alpengletschers, Forschungsobjekt des fiktiven Gletscherforschers Zeno, der ihn ein Leben lang beobachtet hat, geht zur Neige.

Ilija Trojanow, Eistau, Hanser VerlagGletschersterben

"Ich tastete ihn jedesmal aufs neue ab, mit meinen Augen, mit meinen Füßen. Bei jedem Innehalten berührte ich ihn, legte meine Hände an seine Flanken … Ich erkannte den Verfall meines Gletschers … Wir alterten gemeinsam, doch der Gletscher ging mir im Sterben voraus."
Zeno ist alarmiert, erkennt die Dramatik des Geschehens: Klimawandel. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Aber als Forscher ist er machtlos. Er sucht nun sein Glück im ewigen Eis, begleitet Kreuzfahrten in die Antarktis. Hier wechselt die Faszination der weißen Landschaft mit Abscheu über die zumeist wohlhabenden und ignoranten Reisenden, die diesen noch nahezu unberührten Teil der Erde betreten, ohne über seine Gefährdung nachzudenken. Ihn kränkt die Gedankenlosigkeit der Passagiere, die auf dem Boden des ewigen Eises herumstapfen, als befänden sie sich auf Mallorca oder am Ostseestrand.

Klimawandel

Aber die Antarktis ist ein Biotop, das beschützt werden muss. Für Kreuzfahrten ins Eis gibt es deshalb strenge Regeln, für deren Einhaltung Zeno sorgen muss:
"Ohne strenge Vorgaben würden die Menschen alles niedertrampeln, das sehe ich ein, zugleich erniedrigt es mich, ihnen Regeln aufzuzwingen … Auf jeder Reise sind einige Journalisten an Bord, von der Reederei geschätzt wegen der kostengünstigen Werbung in ihren Artikeln …"

SOS im Eis

Zeno leidet unter tiefer Frustration, darüber hilft auch seine persönliche Liebesgeschichte an Bord nicht hinweg. Er gerät in Streit mit einem Soldaten, der eine Zigarettenkippe in eine Pinguinkolonie wirft und muss eine allzu neugierige Reisende vor einem bissigen Pinguin retten. Parallel zum Romangeschehen läuft eine (scheinbar) fiktive Reportage über ein Schiffsdrama.
Zenos persönliches Drama beginnt, als ein unbekannter Künstler ein großes SOS im Eis "malen" will – durch Aufstellung der Passagiere. Ein Umweltprojekt, das mahnen soll - es wird genehmigt. Dem Wahnsinn nahe, nutzt der Gletscherforscher die Gelegenheit, um das leere Schiff zu kapern und die Touristen zurückzulassen:
"Der einzelne Mensch ist ein Rätsel, einige Milliarden Menschen, organisiert in einem parasitären System, sind eine Katastrophe. Ich bin es leid, unter diesen Umständen Mensch zu sein."

Botschaft

Eben dieser Mensch ist es, der die Natur nachhaltig verletzt und nicht erkennt, dass er damit auch die Grundlage seiner Existenz zerstört. Bislang kein Thema für die Literatur:
"Es ist tatsächlich so, dass es ganz erstaunlich ist, wie wenig sich die Literatur, nicht nur die internationale, sondern auch die deutschsprachige, überhaupt bisher mit ökologischen Themen beschäftigt hat,"
sagt Ilija Trojanow in einem Interview, und sein Buch ist genau das: ein Roman über den Klimawandel, eine Warnung vor Gedankenlosigkeit und ungebremstem Konsumverhalten – spannend, berührend und sehr aktuell.
(Christiane Schwalbe)

Ilija Trojanow - "Eistau"
Hanser 2011, 172 Seiten, 18.90 Euro

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