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Eine Stadt macht blau

Politik im Klimawandel – das Tübinger Modell
Boris Palmer

Mit einem Vorwort von Joschka Fischer

Tübingen hat gut 85 000 Einwohner und ist eine Universitätsstadt, meint: Die Bevölkerung denkt fortschrittlicher und ist aufgeklärter - möglicherweise der Grund, warum sich hier das Experiment "Eine Stadt macht blau" so gut umsetzen lässt und zu einer breiten Bürgerbewegung geworden ist.

Eine Stadt macht blau, Boris Palmer TübingenLangfristige Ziele

"Blaumachen" ist im besten Sinne des Wortes atmosphärisch gemeint: Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt haben sich von ihrem grünen Oberbürgermeister dazu animieren lassen, den Klimaschutz ernst zu nehmen und die Klimabilanz der Stadt (und jedes Einzelnen) bis zum Jahr 2020 deutlich zu verbessern.

Klimaschutz der kleinen Schritte

Boris Palmer ist seit 2006 Oberbürgermeister der süddeutschen Universitätsstadt. Seine Wahl war eine kleine Sensation. Der gerade mal 34 Jahre alte Grünenpolitiker setzte sich mit einem dezidiert grünen Programm gleich im ersten Wahlgang durch.

Sein Buch liest sich wie ein populäres Lehrbuch und beweist, dass jeder Einzelne Schritt für Schritt mehr Klimaschutz bewirken kann.
"Wir haben uns vorgenommen, 70 Prozent der CO2-Emissionen Tübingens bis zum Jahr 2020 aus eigener Kraft einzusparen. ... Blaumachen heißt für uns, etwas für den blauen Himmel über Tübingen zu tun. Und wir kommen gut voran. ... Sicherlich: Eine Stadt allein kann die Welt nicht retten. Aber wir können einen relevanten Beitrag dazu leisten, das Klima zu stabilisieren."

Joghurt auf Reisen

Offizieller Auftakt der Kampagne war der Aktionstag auf dem Regionalmarkt am Samstag, dem 26. April 2008. Der Regionalmarkt war ein deutliches Signal, denn Klimaschutz beginnt nicht nur bei Wärmedämmung, Fahrradfahren, Sanierung öffentlicher Gebäude, die sich als Energieschleudern entpuppen, Straßenbeleuchtung und Energiesparlampen, die besser sind als ihr Ruf. Klimaschutz beginnt auch in Tübingen auf dem Teller. In Palmers Buch wird das belegt mit fast unglaublichen Klimasünden – nachvollzogen am Beispiel eines Erdbeerjoghurts, der es im Laufe seiner Produktion auf 8000 hin und her gefahrene Kilometer bringt.
"Zu ähnlicher Bekanntheit haben es Krabben gebracht, die an der Nordseeküste angelandet und dann zum Pulen nach Marokko geflogen werden, bevor sie auf deutschen Tellern landen. ... Wer saisonal und regional angepasst einkauft, schützt das Klima."

Regionale Produkte

Denn es sind keine weiten Wege nötig, um zum Verbraucher zu gelangen. Weil sich die regionale Landwirtschaft zunehmend auf ökologische Methoden besinnt, werden die Methanproduktion von Kühen und die Lachgasemissionen von mit Stickstoff überdüngten Feldern reduziert. Nicht nur die CO2-Rechner in Tübingen beweisen, dass "... der Umstieg von 'normaler' Ernährung, das heißt viel Fleisch und viel Milchprodukte, auf eine vegetarische Kost mit einem hohen Bioanteil und wenig Milchprodukten ein CO2-Äquivalent von einer Tonne pro Kopf und Jahr einsparen kann."
Boris Palmer ist dabei nicht dogmatisch: "Zum saftigen Biosteak aus der Region mit einer reichlichen Gemüsebeilage wünsche ich 'Guten Appetit'.

Selbst aktiv werden

Klimaschutz gelingt am besten dort, wo sich die Menschen kennen und auskennen, in Städten und Gemeinden. Das große Ganze kann man im Blick haben, aber grundsätzlich nur auf die Politik zu verweisen und selbst nicht aktiv zu werden, "weil's ja doch nichts bringt", ist eine Alibi-Argumentation.
Mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam umgesetzt bringt ein Klimaschutz der kleinen Schritte deutliche CO2-Einsparungen.

Bürgerschaftliches Enagagement

Im Anhang des Buches finden sich konkrete Tipps für den persönlichen Klimaschutz – von effizienten Heizungspumpen, klimafreundlichem Kochen und spritsparendem Autofahren über richtiges Heizen und Lüften bis zu Sanierungen, Wärmedämmung und intelligenter Vorratshaltung.
Ein rundum faktenreiches (Lehr)Buch, das sich allerdings deutlich spannender liest. Palmers macht am Modell Tübingen klar, dass Klimaschutz mitnichten ein parteipolitischer Spielball sein muss, sondern als eine bürgerschaftliche Aktion dem Klima, jedem Einzelnen und vor allem den nachfolgenden Generationen nützt.
(Christiane Schwalbe)

Verlag Kiepenheur & Witsch
KiWi Paperback 1105, April 2009, 253 Seiten, 8.95 Euro